Renate Solbach: Camera inversa
| Hannahs Traum 1/1
Hannahs Traum
Der
Morgen war strahlend wie nur wenige ihrer Kindheit, die sie in
Erinnerung behalten hatte. Noras Blick folgte den kleinen weißen
Wolken, die ihr munteres Spiel an dem einmütig blauen Himmel trieben.
Dampfender Kaffee neben dem Notebook. Die Aufgabe war von
faszinierender Einfachheit, geradezu bescheiden. Das stimmte sie
heiter. Begonnen hatte alles mit einem Eintrag: Duden. Anne Duden. Das
Schaf. Eine umgebaute Erinnerung.
Das beste Versteck, das man sich denken kann. Erinnerungen sind die
Spielzeuge, die wir uns selber bauen. Durchsichtige Oberflächen, die
ihren verborgenen Ort im Bewusstsein haben. Gestern – war es
gestern o Agota? –, da brannte das Licht so ein Loch in den Tag und gab
den Blick frei. Worauf eigentlich? Auf den Betrieb, die Tigerin. Worauf
sonst? Eine der absonderlichsten Liebesgeschichten, die ihr je
untergekommen war. Sie schüttelte sich und vollzog eine Kehrtwendung,
um die schweifenden Gedanken einzuholen. Das Umherschweifen war wohl
eine Wirkung des Himmels, der just an diesem Morgen so eigentümlich
blaute. Also, begonnen hatte es mit jenem Eintrag... Das
Schlagende war die Verbindung, die Verbindung zwischen dem Tier und dem
Ausblick, den es freisetzte. Was aber, wenn das Tier den Ausblick
freisetzte durch seine Verweigerung, wenn der Ernst der Sache die
Verweigerung unumgänglich machte?