Anne Corvey: Camera inversa | Eine Frau von fünfzig Jahren 4/2
Feuer – ein gefrässiges Element mit vielfältigen Bedeutungen. Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche. Sie musste sich hüten, eine eher zufällige Verbindung zum Maßstab zu machen. Die Läuterung, die man dem Feuer zuschrieb, hatte stets auch die Implikation der Zerstörung. Verwandlung in etwas anderes. Nicht immer war das Asche. Seine Hand, die das Feuer anfachte, die es nährt, schürt, zähmt, lauert auf den einmaligen Augenblick, da sie ihm das weißglühende Gebilde entreißen kann, das es eben hervorgebracht und im nächsten Augenblick vernichten wird, wie es mit ihren Geschöpfen die blinde und eintönige Gewalt des Lebens macht. Unbeschadet durch die Feuer gehen. Alle Moden und Wechsel der Einstellungen waren an Claire abgeglitten. Sie konnte nicht sagen, wie und warum. Kein Phönix aus der Asche. Das Feuer hatte sie nicht erreicht. Brannte es in ihr? Claire spielte nur allzu gerne auf dem Klavier der Metaphern. Sie spürte, wie ihr unaufhaltsam das Geheimnis verlorenging, das sie lebensfähig machte: das Bewusstsein dessen, wer sie in Wirklichkeit war. Sie selbst? Was war das? Aus welcher Quelle speiste es sich? Schwer zu sagen. Bekannt und gefürchtet waren ihre Urteile. Schnell, kompromisslos. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit unaufgefordert geäußert. Urteile, die sie mit einem Schulterzucken wieder einzuholen vermochte wie die Taue eines Bootes, das Fahrt aufgenommen hat und sich nicht festzurren lassen will in einem beliebigen, gern als heimatlich bezeichneten Hafen. Selten waren sie gefragt in einer vom Korpsgeist geprägten Umgebung.
   © Acta litterarum 2009