Perfektionisten
waren beide. Jeder auf seine Weise und in Beziehung auf seine
Vorstellungen. Das hatte Claire übernommen. Ohne Umweg. Was immer
sie machte, musste sie gut machen. Reichten die Kräfte nicht aus,
war das persönliches Versagen. Sie musste beide sein und sich von
beiden absetzen. Und das perfekt. Welche Rolle bliebe da? Welches
Geschlecht bliebe übrig? Ein drittes gab es damals nicht. Für uns gibt es nicht ein oder zwei, sondern viele Geschlechter, so viele Geschlechter wie Individuen.
Zeit ihres Lebens hegte Claire die Überzeugung, jeder, der ihr so
nahe komme, dass er ihr ›wahres Wesen‹ erkenne, werde sie
früher oder später ablehnen. Von
früh an daran gewöhnt, Geheimnisse zu bewahren. Sich mit
ihnen zu umgeben, einen Wall aus ihnen zu bauen, hinter dem sich leben
lässt. Verschleiern, Masken tragen, Rollen spielen. Es geht
niemanden etwas an, wie ich wirklich bin.
Niemals war es ihr
möglich gewesen, dieses Wesen zu beschreiben, zu sagen, worin es
bestünde. Jede rationale Überlegung erwies die Vorstellung
als das, was sie war: eine Chimäre. Wie es nun einmal das
›Wesen‹ von Chimären ist, half diese Einsicht nicht
weiter. Chimären besitzen kein fest umrissenes Wesen, das, was man
so nennt, verbleibt im Bereich des Schillernden, Flackernden.
Unfassbar, unbestimmt und damit auch unangreifbar.
Einsam als Eigenschaft. Nach innen leben. Sich selbst leben. Kontakte suchen, aber nicht bereit Geheimnisse preiszugeben.