Renate Solbach: Camera inversa
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Die
Stadt ist die immer erneute Foppung. Die Theaterstadt. Es ist nicht das
alte Bild des theatrum mundi. Liegt das Geheimnis in der Stadt? Liegt
es in dir? Ein Kompass, dessen Nadel sich in ständiger Vibration
befindet. Alle Wege führen auf unerklärliche Weise ins Zentrum.
Straßen, Gebäude, Fassaden tauchen auf und verschwinden. Durch Zufall
findest du sie wieder oder du findest sie nicht. Alles liegt dicht
beieinander. Eine Reise durch die Zeiten. Ein anderer Wille hat dich
hierher geführt. Die Faszination wirkt unmittelbar. Die fremde Wahl
wird die eigene. Die Distanz zu den Menschen, die umhergehen, die hier
leben, wird unterbrochen durch ein Lächeln, Blicke, eine leise
Berührung, um sich anschließend noch zu verstärken. Sie setzte das Champagnerglas ab und strich mit gespreizten Fingern die Haare aus der erhitzten Stirn.
»Egal
an welcher Stelle man den Schnitt setzt, den Strom staut, es ist immer
›metonymisch‹. Alles kann für alles stehen und ist doch nicht beliebig.
Es sind die ›Bilder‹. Die Bilder in ein bestimmtes Licht getaucht. Sie
liefern die Instrumentierung für das, was zur Darstellung gebracht,
hervorgetrieben werden soll, wovon man sprechen muss. Der Erzählstoff
ist nur der Kitt. Im Grunde ist er trivial und gesichtslos, wie Sand,
der sich über alles legt und doch hier und da für kurze Zeit ganze
Städte freigibt, denen er zuvor den Untergang bereitete. ... Das Bild
der Wüste, hmm..., das ist nicht das, was ich meine. Ich will
versuchen, es ein wenig zu präzisieren. Es ist der Sand. Der Sand in
einem Gefäß, ja, es weist eher die Form der Sanduhr auf. Das gefällt
mir, die Sanduhr als eine Art innerer Trichter, durch den alles
hindurch, den alles passieren muss.«
© Acta litterarum 2009