Renate Solbach: Camera inversa
| Schreibgeräte 9/7
Platons Höhle. In
einer Ecke saß Luce auf einem Klappschemel und murmelte im Takt der
Nadeln, die an einem riesigen Strumpf strickten. Parler-femme. Die Frau spricht niemals gleich. Das, was sie von sich gibt, ist fließend, fluktuierend. Flunkernd.
Die Wände der Höhle veränderten sich, sie wichen zurück, zuckend und
wabernd. Ultraschallbilder. Vom Innen des Mutterleibs. Der Serbe
Karadžic trat ein. In Frauenkleidern und auf Kothurnen. Er hielt eine
Maske vor sein Gesicht. An der Hand führte er sein Enkelkind. Kopfnicken. Beim Wasser des Styx.
Dann sah man ihn unter einem leeren Galgen in traulichem Gespräch mit
der Witwe von Ephesus. ... Ein Knall, züngelnde Flammen fraßen sich in
die Leinwand. Der lange Tisch und mit ihm die dicke Signora Petronia
verschwanden im Nichts. Der Spuk war vorüber. Nora fand sich in dem
Hohlweg wieder, der zur Villa Rotunda führte. Eidechsen krochen
blitzschnell die Mauern hoch und die Sonne brannte. Hunde bellten, eine
Tür quietschte in den Angeln, hin und her, her und hin. Schritte...
»Nun, was ist, kommst du heute nicht mit zum Monte Berico? Es ist schon
spät.« Nora fuhr hoch. Andreas stand in der Tür. »Was ist los?« –
»Oh, du wirkst ein bisschen mitgenommen. Hier, ich habe dir einen Café
besorgt. Komm erst mal zu dir und dann gehen wir. Ich glaube, das wird
dir auch gut tun.«
© Acta litterarum 2009