Renate Solbach: Camera inversa
| Hannahs Traum 1/28
Hannah
stöhnte im Schlaf. Die Bewegungen des Traumgeschehens lösten kleine
Wellen aus, die sich in Zuckungen ihres Körpers bemerkbar machten. Sie
rollte auf charakteristische Weise – charakteristisch jedenfalls für
den, der sich ein wenig mit Schlaf- und Traumforschung befasst hatte –
mit den Augen. Im selben Moment durchzuckte es Nora. »Achtung! Die
Leimrute.« – Sie dachte an Lenart,
der, wie sie erfahren hatte, in Frankreich gefallen war, und erinnerte
sich an die Befriedigung, die diese Nachricht in ihr ausgelöst hatte.
Es war beruhigend, ihn tot zu wissen, auch Toni war tot und in
Sicherheit. Tod. Liebestod. Gerettet. Die Kehrseite von Romeo
und Julia oder Tristan und Isolde oder wie immer diese großen Liebenden
geheißen hatten, die den Liebestod dem Tod der Liebe vorzogen. ...während sie, entronnen jeder Art von Beschränkung der Liebe, das Ohr an die Schienen gepresst, auf den Zug warteten.
Phantasmen. Mal war es das große Ideal, mal das große Grauen, das den
Blick verkehrte, den Kopf verdrehte. Was sind das für Zeiten, in denen
das Sterben dem Leben vorgezogen wird? In denen sterben leichter
erscheint, als zu leben. Marlen, du hast gewusst wovon du sprichst,
worüber du schreibst, ehe die Frauen dich in Festungshaft nahmen. Auch
das ein gewendeter Blick. Zwang. Solidarität aufgrund des Geschlechts.
Haft mit begrenzter Haftung. Die Risiken und Nebenwirkungen bespricht
Frau Bovary mit ihrem Arzt oder Apotheker. Halt, halt halt... liebe Hannah, wieder dazwischen zu kurz gesprungen.