Renate Solbach: Camera inversa | Medeas Töchter 1/38
Das menschliche Experiment war fehlgeschlagen und das Pendel konnte sich wieder mal auf seinen mechanischen Weg machen.

Jason:
Kinder, welch ein schlechtes Weib war eure Mutter!
Medea:
Kinder, ihr musstet sterben
durch die Schandtat eures Vaters!
Chor:
Zeus im Olymp ist der Herr über alle Dinge.
Vieles vollenden die Götter unverhofft,
und was wir wähnen, erfüllt sich nicht.
Für Unglaubliches findet der Gott einen Weg.
Das hat sich auch hier wieder gezeigt.

Nora schreckte hoch aus ihren Gedanken. »Was ist? Brauchst du eine Extraeinladung oder können wir jetzt gehen?« Sarah war bereits aufgestanden und sah ihre Mutter forschend an. Nora erhob sich langsam. Hatte es keinen Applaus gegeben oder hatte sie den auch verschlafen? Edgars Worte im Foyer fielen ihr ein und gewannen zunehmend an Kontur. Aber bitte, meine Lieben, entschuldigt mich, ich beabsichtige endlich meinen Platz einzunehmen. Hab' mich gefreut, euch zu sehen und wünsche viel Vergnügen. Vielleicht bringt die Aufführung ein wenig Klärung. In den Fall.
   © Acta litterarum 2011