Claire wusste noch nicht – damals, und selbst jetzt lag es in der Zukunft –, dass ein einziges Brandauer-Wort in einem Schillerstück – hervorgestoßen wie eine Rakete – das Publikum in der hektischen um ein anderes Selbstbild ringenden Hauptstadt nicht nur zum Lachen bringen, sondern ihr diesen Sachverhalt so unmissverständlich und nachhaltig vor Augen führen würde, wie sie es sich jetzt weder vorstellen noch ahnen konnte – und wollte. Immerhin, das Leben ihrer besten Freundin war darüber vergangen und gewaltsam verendet. Im kollektiven Bewusstsein der psychologisch trainierten und konditionierten Massen ruhte das Wissen um all diese Dinge wie in einem der Atombunker, die es für eine strahlende Zukunft keimfrei aufbewahrten. Die Karawane zog weiter und zurück blieben die paar, die sich erinnerten und die mit den Skrupeln, die überlegen durften, was man mit dem zurückbleibenden Sumpf anfangen könnte, der sich für längere Zeit als durch Kontaminierung nicht begehbar erweisen sollte. Die Aufräumarbeiten versprachen tiefe Furchen im öffentlichen Bewusstsein zu hinterlassen und den Gesinnungen einen weiteren Turn of the Screw hinzuzufügen. Der Himmel hörte nirgendwo auf, aber er war auch nicht auf Erden. In diesem Sinne hatte das Hauptstadttheater eine bemerkenswert aufklärerische Wirkung. Die Medea von Barbara Frey mit Nina Hoss in der tragenden Rolle sollte Claire ebenfalls in der Hauptstadt sehen und nicht nur beeindruckt sein, sondern auch die neue Übersetzung kennen, die man herangezogen hatte. Das Leben machte die Geschichte wahr. Sie aber wollte die Geschichte schreiben, die das Leben wahr machte, das war sie Lilith schuldig.