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Eine Frau von fünfzig Jahren
Camera inversa
Renate Solbach: Camera inversa | Eine Frau von fünfzig Jahren 8/1
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Eine Frau von Fünfzig. An diesem Ort, zu dieser Zeit.
Eine moderne Frau, wie sie sie versteht, hat zwar Gefühle, darf sie auch zeigen, muss aber deutlich machen, dass sie sie beherrscht.
Das Alter war das eine, eine Frau sein das andere. Welches andere aber? Was hatte die Tatsache, eine Frau zu sein, mit dem Schreiben zu tun? Untersuchungen darüber gab es zur Genüge. Aber, beförderten sie irgendeine Einsicht oder dienten sie lediglich dem Tagesgeschäft? Frauenforschung. Eine veritable Geldquelle für ihre Vertreterinnen – im Moment jedenfalls. Das ›Frau-sein‹ war – ungeschieden von der Forderung nach der selbstverständlichen Berufstätigkeit der Frauen – zum Beruf geworden. ›Berufsfrau‹ – ein wahres Wortungeheuer.
Die Selbstzerstörung bei Frauen interessiert mich nur literarisch. Was mein reales Verhältnis dazu angeht – da hilft zur Selbstrettung nur der totale Rückzug.
Das Mittel gegen den Weiblichkeitswahn? Festgestellt, analysiert und bezwungen. So sprach es aus den Texten. Sie erfanden die moderne Frau. Das nicht mehr unterdrückte, das selbstbestimmte, das Wesen von einem anderen Stern.
Was mochte es bedeuten, heutzutage eine Frau zu sein? Gab es für sie einen Ort? Einen Ort, der sie ›freiließ‹. Nichts Einnehmendes, nichts Beschriftendes. Nur der Ort und du. Ihr seht euch an und seid im Einklang.
Die Entstehung oder besser Erschaffung der modernen Frau vollzog sich wie die Erschaffung des Kunstwerks.
© Acta litterarum 2009