Acta litterarum
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Renate Solbach
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Eine Frau von fünfzig Jahren
Camera inversa
Renate Solbach: Camera inversa | Eine Frau von fünfzig Jahren 8/11
In Handeln überführt, zeitigte es Mechanismen und Wirkungen, über die sich früher oder später – meist erst später, wenn nicht zu spät – so mancher herrlich wunderte: war ihm (resp. ihr) doch völlig unverständlich, wie das geschehen konnte. Hier ging es schließlich um Demographie und nicht um Geschlechterrollen. Zudem, man war nicht länger bereit, sich Fundamentalismen zu beugen, zeugte lieber Bewusstsein in Form von Aufklärungsschriften. Das Kinderkriegen war schon immer eine Sache der Naiven, derer, die das Haupt notorisch bedeckt hielten oder sich der Pille verweigerten. Ein Fall für Fallacis.
Die Menschen werden auf dem Lande geboren und sterben in der Stadt.
Nie vorher hatte Claire ihr Leben so nach eigenen Vorstellungen gestaltet wie in der Zeit, in der sie sich der Aufgabe gewidmet hatte, das Aufwachsen und die Erziehung ihrer Kinder zu begleiten, trotz all der häuslichen Tätigkeiten, die das mit sich gebracht hatte, die ihr mehr Zeit und Kraft ließen, sich ihren Interessen zu widmen, als jeder Beruf. Sie war ihr ›eigener Herr‹.
Eine Gesellschaft, die zwei Menschen verbieten will, eine ökonomische Einheit zu bilden, ist inhuman.
Das aber hatte sich keineswegs organisch ergeben. Das war das Ergebnis angestrengten Nachdenkens, moderner Technologie und einer Entscheidung. Vor allem der, nicht einzustimmen in den Kanon von Mutterklage und -glück. Mentale Musterzimmer. In jedem Kaufhaus auf Bequemlichkeit und Komfort zu testen. Claire erinnerte sich an den in einem Interview geäußerten Satz eines bekannten Historikers: wichtig sei nicht das, was öffentlich gesagt, sondern das, was verschwiegen werde. Es deute auf die eigentlichen Triebfedern des Redens und Denkens.
© Acta litterarum 2009