Renate Solbach: Camera inversa | Eine Frau von fünfzig Jahren 8/13
Die Argumentationen dienten auf jeder Stufe der Beförderung der ›eigenen Sache‹, welche auch immer das sein mochte und entsprangen nicht einer wirklichen Neugier oder einem primären Erkenntniswillen. Für Claire war schwer nachzuvollziehen, dass eine ganze Generation von Frauen Beauvoirs Buch für die weibliche Bibel hielt. B. B. – Bibla belli. Ein Danaergeschenk, dem man entnehmen konnte, das die eigentliche Frauwerdung noch bevorstand. Simones Himmelfahrt. Der Aufstieg in die Transzendenz.
B. war kinderlos. Es gab keinen Ort für das Kind oder besser sie hatte keinen. In ihr war kein Raum. ...es sei denn man betrachtet sie einbezogen in die düstere Voraussage, die dem ganzen Geschlecht den Untergang durch die Existenz des noch nicht gezeugten Kindes prophezeite. Der Versuchung erliegen oder nicht, auf diese Frage schien es hinauszulaufen und auf dieser Ebene schien alles zu spielen. Muttersein wurde von ihr denunziert. (Claire erinnerte sich lebhaft an das Interview, das Betty Friedan mit der Beauvoir geführt hatte. An die Aufregung und Freude und an die große Enttäuschung, die Friedan zur Sprache brachte über das, was die von ihr so verehrte und geschätzte Frau von sich gab. Ihre Forderung Mao-China als Modell für alle Frauen zu begreifen. Sie forderte den Zwang zu außerhäuslicher Arbeit und zu kollektiver Hausarbeit. Für die anderen wohlgemerkt. Das war Diktatur und erzeugte nicht nur bei Friedan den Ruch gewollter Versklavung. )
   © Acta litterarum 2009