Renate Solbach: Camera inversa | Eine Frau von fünfzig Jahren 8/15
Demeter und Persephone wandelten heutzutage auf der Via Negationis, einer der führenden Einkaufsstraßen. Die Fifth Avenue der Frauenideologie auf der die Gesellschaftswesen, die ›tiefgegürteten‹ – ausgerüstet mit credit points und rosa Lesebrille –, das soziale Kapital der ›Herren der Schöpfung‹ verprassten. Prêt-a-porter. Tristesse des Shoppers als Theoriehopping.  Die Zeit lasen diese Wesen auf den Uhren von Foucault, Deleuze, Lacan und Derrida. (Ich kaufe ein, also bin ich!)  Levy-Strauss als Dame, die moderne Form der Ethnologie. Claire ließ den Stift sinken und bezwang ihren Groll. Das reichte. Keine Metaphernkaskaden bitte! Die Fülle schlägt die Leere tot. (Apropos Fifth Avenue: Kamen sie aus dem Schwäbischen, ging es anschließend in Annie get your gun.)
Beauvoirs Absage an das Frau-sein als Mutter war ein Abgesang auf das Kind. Es war die perfekte Abtreibung. Überhaupt schienen die feministischen Theorien merkwürdig blind und stumpf gegenüber dem Kind. Die Beauvoir war da nur ein, aber ein prominentes Beispiel. Das Kind ›wegdenken‹ war etwas anderes, als sich darüber klar zu werden, dass  Mutterschaft nur eine Phase im Leben einer Frau ist. Eine wichtige unter anderen. Dazu lieferte das Buch keinerlei Aufklärung. Seine Antworten waren lebensfremd, und nicht selten larmoyant. Es ist ihr Blick, mit dem wir ihre Familie betrachten, und dessen sollte man sich von Zeit zu Zeit erinnern. Die Gegenstände müssen als immer neu zu befragende im Raume stehen bleiben. Nicht Problemreduktion, sondern Entfaltung des Stoffes in seiner Komplexität waren angesagt.
   © Acta litterarum 2009