Acta litterarum
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Renate Solbach
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Eine Frau von fünfzig Jahren
Camera inversa
Renate Solbach: Camera inversa. Eine Frau von fünfzig Jahren 12/01
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Es gibt Orte, an die man zurückkehren muss, sonst setzen sich die mit ihnen verbundenden Traumata an ihre Stelle. Das Problem und die Lösung. Wie immer kam sie plötzlich und von unerwarteter Seite. Sie musste zurückkehren.
Die Blüte, die die wachstumsspendenden Strahlen der Sonne aufsaugt, um sich zur Frucht zu wandeln, schließt sich am Abend. Zurückkehren zum Kern der Sache. Der Kern aber war nicht leer. Der leere Kern ist eine
contradictio in adjecto,
ist bereits verstellte Sicht. Verstellt durch Worte, Gedanken und Bilder, die sich an die Stelle des nicht Fassbaren gesetzt hatten. In dieser Hinsicht lastete das Schreiben in Form alles Geschriebenen. Eine schreibende und denkende Menschheit hatte sich daran abgearbeitet, der Natur des Kerns habhaft zu werden. Schicht um Schicht hatten sie aufeinandergetürmt, eine aus der anderen hervorgegangen, die jeweils vorangegangene widerlegend, um weiterzukommen. Irgendwo in diesem Gebilde, an einer der vielen Kreuzungen, hatte ›weibliches Denken‹ eine Abzweigung genommen, die in die Irre führte. Illuminationstheater. Längst war Max Webers
Wer Schau will, gehe ins Lichtspiel
überholt. Die Schau gab mann/frau selbst, das Event hatte Konjunktur.
Enlightenment.
Die Ersetzung der Gaslaternen durch Neonreklamen förderte den Konsum. Licht im Sinne von Erleuchtung brachte sie nicht in die Angelegenheiten der Menschheit. Eine gigantische Energieverschwendung zu Gunsten des Kapitals. Nicht, dass Claire nun glaubte, ihrerseits das Rätsel lösen zu können.
© Acta litterarum 2009