Renate Solbach: Camera inversa
| Klytämnestras Gefangene 17/1
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Hannah
rief sich dieses Gespräch immer dann in Erinnerung, wenn ihre Gedanken
wieder einmal die Frage umkreisten, wozu oder weshalb sie sich dem
mühevollen ›Geschäft‹ des Schreibens unterzog. Stets beschlich sie ein
leises Unwirklichkeitsgefühl. Niemals jedoch hatte sie die Gegenwart
einer ihr zugleich so fremden und vertrauten Person intensiver
empfunden.
Bouteille à la mer
pourquoi en faire secret
on jette aujourd’hui sa bouteille à la mer
la vaste mer est petite sur le globe
elle converse avec les autres mers
en langage codé.
Die
kleine Flasche im großen Meer. Alles stand mit allem in Verbindung. Es
schien ganz simpel. Sich einklinken in das Geschehen. Hannah als
Empfängerin einer Flaschenpost. Das Meer hatte die Kladde an Land
gespült, als sie, rein zufällig natürlich, an seinen Gestaden saß – die
Botschaft von Kassandras Leben. (Oder, was hatte diese gesagt? Wie das
Buch des Lebens sei es ihr bisweilen vorgekommen?) Schade! Eigentlich
ein hübsches Motiv, wäre es nicht so alt und verbraucht und – leider
musste sie sich das eingestehen – auch ein wenig trivial. Als ob je ein
Mensch Einfluss darauf gehabt hätte, was mit seinen Geistesprodukten
geschah. Sicher war es auch besser so. Habent sua fata libelli.