Renate Solbach: Camera inversa | Schreibgeräte 1/3
Der ›Lichtwert‹ – um es ein wenig technisch auszudrücken –, den das helle, in der dampfenden Feuchtigkeit sich spiegelnde Frühlingslicht auf die Fassaden der Palazzi und Häuser zauberte, erfasste ihre Person, ohne dass sie vermocht hätte, die Empfindung in angemessene Worte zu kleiden. Gleichwohl erschien es ihr nicht unmöglich. Etwas baut sich auf und du weißt, gäbe es den direkten Fluss des Zustandes, der als innerer der Person erfahren wird, in die Feder, alles wäre stimmig, die Worte ließen den Sinn frei. Der Akt des bewussten Schreibens ist es, der die Widerstände erzeugt, die sich als Widerstände der Materie tarnen, die Worte verbraucht und brüchig wirken lassen wie Chandos’ Moderpilze. Die Beschreibung der Widerständigkeit der Sprache – selbst die berühmtesten Beispiele zeigen das – beschreibt ein anderes.Was also heißt, eine Sprache finden? Für das, was sich – aus Gründen vielleicht – nicht abtrennen will von dir?
Sie waren hierher gekommen, um zu arbeiten. Nach einem langen deutschen Winter schiere Notwendigkeit. Reserven auffüllen. Zumindest war das der Grund, dessen sie sich gegenseitig versichert hatten. Das Sonnenlicht, das ihr von damals im Gedächtnis haften geblieben war, spielte eine tragende Rolle. Es wirkte anregend, steigerte das Lebensgefühl. Diesmal aber machte es weitgehend in Verweigerung. Sicher, der Ort war der rechte. Vielleicht war sie nur noch nicht ›angekommen‹. Wieder genügt es, eine vertraute Straße in anderer Beleuchtung zu sehen, und sie fühlt sich versetzt an einen unbekannten Ort.
   © Acta litterarum 2009