Renate Solbach: Camera inversa
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»Das
Ausgangsmaterial, die Bilder sind andere. So anders aber auch nicht,
wie sich in der letzten Zeit gezeigt hat. Auf eine rätselhafte, durch
unseren steten Austausch wiederum sehr verständliche Weise verschränken
sie sich. Wir haben uns von verschiedenen Polen her aufgemacht und uns
unaufhaltsam aufeinander zu bewegt. Oder willst du das leugnen?«
Sie
hob die Arme, streckte sie der Sonne entgegen, die für einen kurzen
Moment durch das Fenster der kleinen Bar hereinschaute, um sie dann
hinter dem Kopf zu verschränken. »Ach du!« Im selben Moment verfielen
sie beide in ein herzhaftes, befreiendes Lachen. »Es ist viel zu schön,
um zu streiten!« – »Aber ich streite doch gar nicht. Komm, lass uns
gehen. Heute ist der Tag für den längst fälligen Besuch im Teatro
Olympico. Oder hast du keine Lust?« Beinahe gleichzeitig erhoben sie
sich, zahlten und schlenderten ein wenig müde und träge geworden dem
gemeinsamen Ziel entgegen. Dort angekommen teilte ein Anschlag ihnen
mit, dass ein Streik die Tore des Teatro heute für sie verschlossen
halten würde. Der Geruch des
Theaters war die alles überwölbende Erinnerung. Ein Geruch, der die
vergangenen Zeiten in sich aufgespeichert hatte und sie nach und nach
freiließ, während der Blick neugierig und bildungssüchtig
umherschweifte. Eine Illusion, instrumentiert von den Bildern im Kopf,
die das eigene Wissen abbilden und ein Amalgam herstellen, eine Art
chemischer Verbindung mit der ›Präsenz‹ des Ortes und seinen
Ausstrahlungen.
© Acta litterarum 2009