Renate Solbach: Camera inversa | Schreibgeräte 3/3
Das Problem Hannah war erledigt und abgetan, und sie sollte – um es ein wenig rüde auszudrücken – bleiben, wo der Pfeffer wächst. Vielleicht würde sie eines schönen Tages im Feuilleton einer Zeitung von Hannah lesen, wenn nicht... nun ja, dann hatte Hannah sich das selbst zuzuschreiben. Die schöne Debütantin! Der Betrieb war grausam, besonders, wenn man ihn verachtete.
Beflügelnd war, dass sie nun mit ›leichtem Gepäck‹ reiste, für ihre Aufzeichnungen lediglich die Kladde mit sich führte. Der Rest sei eine Sache der Übertragung, versicherte sie Andreas lächelnd, als er seine Verwunderung über das Fehlen des Notebooks in ihrem Reisegepäck zum Ausdruck brachte. Natürlich provozierte all das ein Formproblem, doch sie vertraute der Intuition und der Eigenentwicklung der ›Materie‹. Schließlich hatte sie bisher allen Versuchungen widerstanden, sich in ein Schema pressen zu lassen oder einfach ein fertiges Muster zu übernehmen. Ich habe einmal von Manuel Machado, dem Dichter – dem Bruder Antonios –, gehört, dass er eines Tages zu Don Eduardo Benot ein Sonett mitgenommen hätte, um es ihm vorzulesen, ein Sonett in Alexandrinern oder in sonst irgendeinem falschen Versmaß. Er las es also vor, und Don Eduardo sagte ihm darauf: ›Aber das ist ja gar kein Sonett.‹ ›Nein‹, erwiderte Machado, ›das ist kein Sonett, es ist ein Sonitt‹. Dasselbe gilt für meine Novelle; sie wird keine Novelle sein, sondern eine ... wie sagte ich gleich? Eine Naville? Nevulle? ... Nein, nein eine Nivola, richtig eine Nivola. Denn damit hat niemand das Recht zu behaupten, ich verstoße gegen die Gesetze der Gattung. Ich selbst bin der Erfinder dieser Gattung, denn eine Gattung erfinden, ist nichts anderes, als dem Ding einen neuen Namen geben. Und ich schreibe dem Werk die Gesetze vor, so wie es mir gefällt.
   © Acta litterarum 2009