Renate Solbach: Camera inversa
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Es
gab Tage, an denen nichts half. An solchen Tagen streifte Nora durch
die Stadt. Seit ihrer Ankunft in Vicenza dehnte solche Verfassung sich
straßenförmig aus. Die Stadt foppte sie jeden Tag aufs Neue. Regen und
Sonne wechselten in einem atemberaubenden Tempo. Kaum hatte sie sich
auf den Regen eingestellt, brach die Sonne hervor. Wagte sie nach
einigem Zögern, sie zu genießen, öffnete der Himmel erneut seine
Schleusen. Das Wetter verhalf Noras Gefühlen zu neuen ungeahnten
Wechselbädern. Alles nur, weil sie
so mutig war und sich geweigert hat, sich selbst auf die von anderen
vorgegebene Weise zu betrachten. Es kommt ihr so vor, als hätte sie
sich selbst zerstört in dem Versuch, sich selbst zu erschaffen.
Es
gibt Orte, die reichen nur für einen. Andere bieten mehr Raum. Wenn es
dunkel wurde, wechselte die Stadt ihr Aussehen. Sie warf sich den
Schein der Lampen um, wurde Innenraum. Etwas war anders. Ihre
täglichen Gänge durch die Straßen. Gleichmäßig strömender Regen.
Menschen, die unbekannten Zielen entgegeneilen. Verlorenheit inmitten
der Stimmen, die wohltuend wirkt. Nicht das Raue des Nordens. Die
Stimmen durchziehen dich wie Melodien. Rühren an, ohne dich zu
vereinnahmen. Die Verfertigung von Gedanken beim Gehen. Die Stadt als Peripatos.
© Acta litterarum 2009