Renate Solbach: Camera inversa
| Schreibgeräte 7/1
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Das
Leben als Text, die weiße Seite, der fremde Text. Und über all dem der
eigene. Zitternd, tastend, schwebend und letztlich unvermeidlich,
wollte man sich nicht der unverwechselbaren Stimme entheben noch ehe
sie eingesetzt hatte. Wie sie ausbilden?
Die Differenz bildete
sich ab bis in die Schreibgeräte. Sie markierten den Weg. Das Notebook
machte es leichter, den Text aus sich heraus und von sich abzusetzen.
Noras Kladde – ein Kalender, schwarz von einem Gummiband gehalten, wie
sie jetzt modern waren, sich verkauften wie warme Semmeln, da der
Verlag mit den berühmten Künstlern vergangener Zeiten warb, denen sie
als Skizzen- und Gedächtnisort gedient haben sollten – vermittelte den
Eindruck von etwas Lebendigem. Hielt das tägliche Blatt bereit. Kein
Tagebuch, nein. Obwohl das die Frage provozierte, warum sie ein
Notizbuch gewählt hatte, das die aufgeschriebenen Buchstaben, Worte,
Sätze bestimmten Tagen und Zeiten zuordnete.
Die Zeit als Ort.
Mittel und Mittler zwischen ihr und den Gedanken. Ein Ort auf den sie
überall und jederzeit zugreifen konnte. Kein langes Anmachen, Booten,
System-Anmelden, Warten. Die gefüllten Seiten waren abgelegte, noch zur
Verwendung vorgesehene Teile ihres Lebens. Bruchstücke, vorläufig
eingereiht in die oberflächliche Ordnung von Tagen, denen sie ohne
Schwierigkeit wieder zu entwenden waren. Zum Gebrauch frei gegeben.
Hier herrschte Offenheit. Und so scheute sie sich nicht, den Worten
Sinn anzuvertrauen. Die Worte waren noch nicht in den Zustand
übergegangen, in dem alles klar und deutlich da zu stehen hatte, in
gewisser Weise aber auch abstrakt. Sie wusste, dass der Wortsinn nicht
der von ihr in diesem Moment reklamierte war. Manchmal schien es ihr
schwierig, zwischen dem Gefühlswert eines Wortes und seiner definierten
Bedeutung zu unterscheiden. ...es
ist kein Vergleich, es ist das Gegenteil, es ist die Wirklichkeit, der
Morgen, für eine Sekunde steht nichts zwischen dir und der Sache. Es
ist Vormittag vergaß ich zu sagen, nur dann ist das Licht so klar.
© Acta litterarum 2009