Renate Solbach: Camera inversa | Schreibgeräte 8/2
Sie besaß ein Buch über schreibende Paare. Pure Neugier. Aus Briefen, Tagebüchern, Memoiren und dem literarischen Werk selbst erwächst der Facettenreichtum berühmter literarischer Partnerschaften von der Romantik bis heute. Erzählt wird die Geschichte von Paaren – Liebespaaren, Eheleuten, Lebensfreunden –, deren Beziehung durch den gemeinsamen Beruf des Schreibens entscheidend geprägt ist. Bewunderung und Respekt für das Werk des anderen, ausschließliches Interesse am eigenen Gelingen, erbitterte Rivalität, Verzweiflung und Zärtlichkeit – eine breit gefächerte Skala. Die Gesetzmäßigkeiten oder Konstellationen des Schreibens und der Beziehung verbinden sich. Zudem wechseln die Bedingungen mit den Zeiten. Sie erinnerte sich nicht mehr, ob die Verfasserin diesem Umstand Rechnung getragen hatte. Eines jedenfalls wusste Nora mit Sicherheit: Die Gesetzmäßigkeiten oder Bedingungen des Schreibens und die einer Beziehung verbinden sich auf eine Art und Weise, die es schwer macht, zu unterscheiden. Unaufmerksamkeit gegenüber der Differenz, Unfähigkeit sie wahrzunehmen oder der Wille, dem in jedem Einzelfall andere Motive zugrundeliegen, die Fäden nicht auseinanderzuhalten, machen oft genug das Scheitern solcher Beziehungen unausweichlich.Die Unausweichlichkeit ist nicht selten eine künstliche, was auch heißen kann, durch die Kunst erzeugte. Die sinnliche Liebe, die bloß auf den Körper geht, ist eine Beschäftigung kleiner und unfruchtbarer Seelen. Und die geistige Liebe, die sich nur mit den Eigenschaften der Seele gattet, ist ein Hirngespinst hochmütiger Schulweisen, die sich schämen, dass ihnen der Himmel einen Körper gegeben hat, den sie doch, wenn es von den Reden zu der Tat käme, um zehen Seelen nicht würden fahrenlassen.
   © Acta litterarum 2009