Renate Solbach: Camera inversa
| Schreibgeräte 8/5
Eine Fiktion der Ménage á trois. Natürlich nur unter Beachtung gewichtiger Vorsichtsmaßnahmen. Dieses
Sprechen über den Text eines Dritten war die Verbindung zwischen uns.
Jetzt in der Abgeschlossenheit der Nacht, sehe ich, dass es immer in
dem ausgehöhlten Körper eines Dritten geschieht, wenn man zu sprechen
anhebt. In einem fremden Text, in einem hohlen Körper, der sich mit
neuem Verlangen füllt. Welcher Art dieses Verlangen war? Überschreitung, die ein Überschreiben war: der anderen Liebe und des anderen Textes. Wenn
die Liebe die höchste Form der Partizipation bedeutet, so wird sie
gleichzeitig zum Abgrund bei jeder Teilung mit einem Dritten.
Vielleicht zeigte das Scheitern der Liebe schreibender Paare implizit
etwas anderes an. Das Scheitern als Indikator dafür, dass diese Liebe
ein Konkurrenzverhältnis war. Die eine Liebe als Lackmustest der
anderen? Neid, Missgunst, Unterdrückung oder Entwertung dessen, was der
andere sagte und schrieb, zeigten an, dass es nicht nur mit der
gegenseitigen Liebe, sondern auch mit der Liebe zum Gegenstand nicht
weit her war. Zeigten die Überlagerung durch andere Ziele.
Inzwischen
hatte der Kellner die Getränke gebracht und Nora hob ihr Glas, drehte
und wendete es und betrachtete die ins Grün getauchte Umgebung. Caffé
Abbondanzia. Genau. Sie führte das Glas zum Mund, leerte es in einem
Zug, wandte sich mit einer halben Drehung, die in einem Seufzer endete,
Andreas zu, »Ein schöner Abend, findest du nicht? Man soll die Feste
feiern, wie sie fallen.«, schob – belustigt über diese Platitüde –
ihren Arm unter den seinen und flüsterte: »Die Augen vor solcher
Erkenntnis verschließen hieße, sich Nachtblind
machen in vollem Bewusstsein.« Genüsslich registrierte Nora die
Fragezeichen, in die seine Augen sich unter ihrer Bemerkung
verwandelten. Die Verwirrung hatte die Seite gewechselt. Schreiben ist wie das Stopfen und Aufreißen eines Lochs in einem Wollstrumpf.
© Acta litterarum 2009