Anne Corvey: Camera inversa | Hannahs Traum 1/4
Die Entscheidung bestand also darin, entweder ein authentisches Entsetzen zu erfinden, um zu erzählen oder den Traum in die nötige Distanz zu rücken, um seine Dynamik und das, wofür diese stehen könnte, zu analysieren. Also, ich will was erzählen, ich will was sagen. Und um das zu machen, muss ich ja in die Sprache gehen in meinem Fall, und dann muss ich das suchen, ich muss so lange suchen, bis ich den Eindruck habe, es tangiert irgendwo, es kommt einigermaßen in die Nähe. Und dem kommt es nur in die Nähe, wenn ich es ganz anders mache, also, wenn ich es zertrümmere und wenn ich es durch Sprache noch einmal zusammensetze. Und wenn ich dann Glück habe, erwische ich wieder viele Kleinstdetails, die in der Zusammensetzung von sich aus vielleicht wieder etwas ergeben, was dem, was ich mitschleppe, in die Nähe kommt. Es war die Entscheidung für die notwendige – nennen wir es einmal so – ›Schizophrenie‹ des Autors. Mit Hilfe von ›Personae‹, Namen, die gewissen Bereichen seines inneren Erlebens entsprechen, rückt er die Dinge von sich fort und betrachtet sie von einem imaginierten ›Außen‹. Warum aber sollte sie das tun? Das Publikum würde es ihr nicht danken. Das unmittelbare Mit- oder Nachempfinden war ihm lieber. Katharsis entstand auf diese Weise. Wie jedermann wisse, sei es zum Beispiel beim Bau einer Lokomotive unerlässlich, dass der Erbauer seine Arbeit mit der Geschwindigkeit von achtzig Meilen in der Stunde ausführt. Der Leser wollte dieselben oder beinahe selben Erfahrungen wie der Autor durchleben; anschließend konnte er sich beruhigt seinen Alltagsgeschäften zuwenden, um die erfreuliche Erfahrung einer Peripetie oder eines anhaltenden Entsetzens, die reinigende Kräfte freigesetzt hatten, bereichert.
   © Acta litterarum 2009