Renate Solbach: Camera inversa
| Hannahs Traum 1/14
Das
Schweigen vergiftete noch die Atmosphäre, als das Erinnern längst zu
einem einträglichen Geschäft geworden war. Die Pharmazie leistete ihren
Anteil. Teure Medikamente gegen die Wohlstandskrankheit, gegen das
Hausfrauensyndrom, die dich vergessen ließen. Gegen das lähmende
Schweigen? Aber ihr hattet gelernt. Wer redete, brachte sich in Gefahr.
So fiel das Schweigen nicht allzu schwer. Endlich die Worte aus deinem
Mund: »Das muss doch einmal aufhören. Ich kann es nicht mehr sehen.
Irgendwann muss Schluss sein.« Dabei warst auch du längst gefangen.
Durfte man darüber sprechen, wenn alle Welt ihr Geschäft damit machte?
Wurde das Schweigen nicht fortgesetzt inmitten des rituell lärmenden
Erinnerns? Aber man musste sich doch erinnern. Den Opfern sollte
Gerechtigkeit widerfahren. Welche Art von Gerechtigkeit mochte das
sein? Das Schwert ging mitten hindurch. Die Schneide war scharf, auf
beiden Seiten. Perseus gelang die
Befreiung, da er dem Entsetzen ins Gesicht schaute. Nur so war er in
der Lage, Medusa das Haupt abzuschlagen. Aber der Blick war kein
direkter, war umgelenkt. Er erblickte sie in seinem spiegelnden Schild.
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