Renate Solbach: Camera inversa
| Medeas Töchter 1/7
Nora spürte die
Kälte bis ins Mark. Von wegen wärmend und nährend. Unmenschlich
irgendwie, doch schwer durchschaubar. Eine Schicht von ›Vernunft‹ und
›Menschlichkeit‹ war wie die sensible Bootshaut über das knöcherne
Gerippe des Kanus gespannt, das noch auf den wildesten Wassern
unversehrt dahintänzelte. Ein winziges Steinchen genügte... ›Sand im
Getriebe‹, aber nein, das war ein anderes Bild. Des Stockens wohl eher.
›Dem Leben auf der Spur bleiben.‹ Es
bedarf immer einer Anstrengung, um von der einen Lebensform in die
andere überwechseln zu können. Im Überschreiten dieser Grenze von
beiden Seiten vergewisserte sie sich ihrer Lebendigkeit. Damals
wäre Edgar ohne sie hilflos gewesen. Der Unmenschlichkeit dieser Person
ausgesetzt, der er nichts entgegenzusetzen hatte außer sich selbst. Und
das war gleichzeitig zu viel und zu wenig. Dabei hatte sie nicht
weniger darunter gelitten, nur anders, nicht so ersichtlich. Nach außen
mussten sie wie ein eingespieltes Team wirken... Ah, Medeas Kinder.
Söhne, natürlich!