Renate Solbach: Camera inversa
| Medeas Töchter 1/16
Die columnae,
die den steten Austausch, das Hinüberwechseln ermöglichen. Das Bollwerk
gegen die Boshaftigkeit der Welt. Für Edgar war es der große Roman.
Geschrieben oder nicht. Was wusste sie schon davon, seit sie die
Verbindung gekappt hatte aus Gründen, die ihr nachträglich wie ein
Verrat, ein später und doch verfrühter Sieg der Mutter vorkamen. Die
Endgültigkeit des Todes hatte die Gemengelage verändert. Den Sieg in
eine Niederlage verwandelt. Ein Versager war der Vater, die Mutter
wusste Bescheid und der Vater gab ihr Recht. Warum sonst hatte er sich
untergeordnet, als könne nur sie – die er heimlich verehrte und
verachtete – ihm die Absolution erteilen? Grotesk. In Psyche
verwandelte Rolle. Nein, ein Roman war nicht ihre Sache. Das Schreiben
schon. In gewisser Weise war es Zeugenschaft. Zeugnis von der
Redlichkeit der seelischen Regungen und Abläufe. Da halfen keine
Tricks. Die schrieben sich dem Text ein und entwickelten ein
Eigenleben, das sich wie Mehltau auf die Worte legte, sie unbekömmlich
machte. Gab es die Rolle auch als weibliche? Versagerin? So müsste es
wohl heißen. Kichern machte sich in Nora breit, so einnehmend, dass sie
nicht umhin konnte, Sarah anzustubsen – heimliche Verschwörung zwischen
Mutter und Tochter. Der irritierte und ein wenig mitleidige Blick der
Tochter brachte sie auf den Teppich zurück. »Schon gut!« Eine unbestimmte Sehnsucht zerrte an ihm wie eine lange Leine. Aber das Törchen blieb verschlossen.
Eine weibliche Rolle. Sexualität im Sparstrumpf. Das Versagte macht den
Mann zum Versager und – noch leichter lenkbar. Mit dem kleinen Finger
oder aus der Hüfte heraus, je nachdem. Das implantierte Gummiband.
Gott-sei-Dank waren die jungen Leute anders. Das gab Hoffnung.