Renate Solbach: Camera inversa | Medeas Töchter 1/18
Heldentod gegen den im Kindbett? Gegen einen ruhmreichen Helden standen viele Namenlose. Geboren unter Schmerzen, gebären mit Schmerzen – den Schmerz. Wir sind der Schmerz. Wir? Du? Ich? Nein. Der Schmerz ist ein Kristall. Schimmernd und hart. Glashart. Nein. Der Schmerz ist ein Stück Kandiszucker. Er löst sich im Leben. Oder auch nicht. Nein. Der Tatbestand ist immer derselbe, aber die Beleuchtung ist anders. Auf die kommt es an. Nein. Der Tatbestand ändert sich nicht. Du änderst dich. Die Form. Ganz langsam löst sich der Schmerz im Leben. Von einem gewissen Punkt an. Death zone. Wer den überlebt, lebt. Jeder Lebende ist ein überlebender Toter. Quatsch. Gefühle schmelzen an der Sonne. Geh ins Eis, in den ewigen Schnee. Konservier deinen Schmerz. Was machte das Gebären abschreckend für diese Frau? Die Passivität, mit der es sich vollzog? Ein Akt des Erleidens eher, denn der Schöpfung? Die bewohnte Frau. Eine typische Eva. Vom Schutzraum, vom Paradies träumen. Hat sie es, ist ihr langweilig oder wie immer dieser Zustand genannt werden mag: Abwesenheit von wirklichem Leben – Stoff so manchen Dramas. Was aber war das Leben? Offenbarte solche Haltung nicht impliziten Hass gegen das Kind? Die Frau als Opfer der Natur? Welche Frau weiß nicht, dass, wenn sie gebiert, sie von sich selbst, von ihrer Schönheit abgibt an eine andere Generation, von der sie ausgeschlossen ist.
   © Acta litterarum 2011