Renate Solbach: Camera inversa | Medeas Töchter 1/28
Manchmal implodiert es dann. Oder einer kommt daher und benutzt es auf ungeheuerliche Weise, so dass es erst wieder ›rein‹ werden muss. In einem Journal konnte daher sehr Widersprüchliches stehen, das aber doch eins war. Die Ausfaltung einer Person in der Ebene, der Fläche, die Worte, Denken, Schreiben heißt und als Aufgeschriebenes sich wieder erheben kann, ablösen vom Träger, auf den Suchenden zuschweben wie eine Fata Morgana. Worte sind Ausdruck von Obsessionen. Eine Gefahr für die poetischen Bilder, für das Ästhetische in einer Gesellschaft, die alles zum Nennwert nimmt, die Worte zu Münzen macht. Doch sage den Menschen, es sei kein Wunder, wenn es in allen Ecken nach Pisse stinke, da sie das Leben zur Bedürfnisanstalt gemacht haben, so wenden sie sich indigniert ab und verstehen nicht, wie du als gebildeter Mensch so rüde daherreden kannst. Den Luxus, Feinheiten der Seele zu entwickeln, hatten sie sich nie leisten können. Undine bleibt, nur nicht Undine. Im Grunde wissen wir von einem Menschen, der uns nahesteht, nur, wie er in Bezug auf uns und andere sich uns zeigt. Diese Tür ist nur für dich bestimmt – auch so kann man Kafka verstehen. Es muss so sein, wie unter Tränen lächeln.
   © Acta litterarum 2011