Renate Solbach: Camera inversa
| Medeas Töchter 1/36
Diese Strukturen
wurden von Männern und Frauen mit denselben Gesinnungen und demselben
Bestreben nach Macht getragen. Das waren nicht die Frauen, die nun
öffentliche Ämter bekleideten. Die waren allzu oft auch nur Gefangene
im Glücksrad des Karrieredenkens. Kein Zweifel bestand allerdings
daran, dass es sich neuerdings wieder in die andere Richtung drehte.
Aus ökonomischen Gründen? Die Karrierefrauen – Karriere begann heute
bereits an der Aldi-Kasse – hatten leider das Kinderkriegen vergessen,
und das konnte sich keine Gesellschaft leisten, wollte sie nicht
kollektiven Selbstmord begehen. Also – mach dir ein Bild! – prangten auf den Titelseiten nicht nur der Schmuddelzeitungen einmal
mehr die entsprechenden Parolen. Die demographischen Zahlen standen mit
dicker Tinte ins Gehirn der Medienmacher (und Verantwortlichen?)
geschrieben und so wurde der alte Gegensatz hervorgeholt: Kind oder
Karriere, Familie oder Beruf, und man konnte sich des Gefühls nicht
erwehren, dass all die sorgsam geführten und Nächte verschlingenden
Diskussionen der eigenen Jugend nichts als ein breit organisierter fake
gewesen waren, mit dem man den Tribut an den Zeitgeist entrichtet
hatte, der leider, leider mal wieder ein anderer war. Die
Ideologen spielten Ping-pong und das Kind war ein schöner Ball. Die Massenkultur in Form des Marktes war die Fortsetzung der Diktatur des Proletariats, des geistigen.