Renate Solbach: Camera inversa | Klytämnestras Gefangene 3/10
Inzwischen war es Abend geworden. Dämmerung ergoss sich über die aufgeschlagenen Buchseiten, ließ das Geschriebene mild und flächig mit seinem Untergrund verschwimmen. Die Farben des Tages hatten ihre Anmutung zurückgenommen und jenem Zustand des Zwischen Raum gegeben, der den Tag von der Nacht trennt und für die Länge seiner Dauer das Zeitgefühl auflöst. Einen Moment durchzuckte Hannah der Impuls, die Lampe einzuschalten, doch ehe er bis in ihre Fingerspitzen vordringen konnte, war auch er in die Dämmerung eingetaucht und löste sich in dem fahlen wohltätigen Grau auf.
   © Acta litterarum 2009