Renate Solbach: Camera inversa
| Klytämnestras Gefangene 12/5
Ob Kassandra ihm während der nachmittäglichen Gespräche von ihren Ahnungen erzählt hatte?
Diese unselige Leidenschaft – im wahrsten Sinne des Wortes – die Inseln
des Glücks mit Angst und Bedrückung zu bevölkern. Sie halten sich im
Hintergrund, wie die Vorboten eines nahenden Gewitters. Dabei ist
Hintergund nicht ganz das richtige Wort. Eher handelt es sich um eine
Zwischenebene, in der solches Empfinden, das es noch nicht zur Präsenz
eines ausgebildeten Gefühls gebracht hat, sich schwebend anzusiedeln
pflegt. Rußpartikel eines vernichtenden Feuers, die vor der Sonne in
einem willkürlich wirkenden Auf und Ab ihren verdunkelnden Tanz
zelebrieren, ihr Strahlen beflecken, die unberührten Partien aber umso
heller erscheinen lassen. Jedenfalls wandeln sich die innigsten Gefühle
zu schmerzhaft empfundenen, verschmelzen Glück und Leid in einer
Umarmung, die unlösbar scheint. – Die Liebe: Kein anderes Glück wiegt
ihre Schmerzen auf. Zwei rote Punkte strahlten vor Hannahs Augen.
Der Mensch verlöscht, wie eine Lampe! –
Unwirklich ist die Vernichtung,
wo ein Schritt den, der vorausging,
hinter sich lässt, spurlos, nicht zu entdecken. – O Kassandra...
Panik
schnellte hoch, der Fuß trat mit voller Kraft die Bremse. Die
Schlussleuchten eines Lastwagens. Der Schreck hallte noch eine Weile
nach. Wieder einmal gut gegangen! In Zukunft musste sie vorsichtiger
sein, keine Träumereien auf der Autobahn. Es gab noch viel zu tun!