Renate Solbach: Camera inversa
| Klytämnestras Gefangene 17/4
Hannah zündete eine
Zigarette an und inhalierte den Rauch mit geschlossenen Augen. Wie ein
schützender Nebel legte er sich ... sie hielt einen Moment inne ... Der
Hohlraum in ihrem Inneren, der häufig so ziehend schmerzte, wirkte
weniger streng und verletzend, wenn sie den Rauch einsog. (Oder war es
die kurzfristig damit einhergehende Vernebelung des Gehirns, die das
bewirkte?) In letzter Zeit rauchte sie eher weniger. Hannah hielt diese
Empfindung für etwas, was nicht nur ihr widerfuhr, sie hielt es für weiblich.
Die diffuse Sehnsucht, diese unausgefüllte Ausbuchtung – eine Rundung
so sinnlich und ausgreifend wie der Bauch einer Schwangeren, doch eben
als Hohlform. Wie damit leben? Zwei mögliche Weisen waren Hannah
bekannt. Die eine, die Entscheidung für die Entscheidung, hatte ihrem
Leben Inhalt gegeben. Die Alternative hieße die ›Hohlform leben‹, eine,
die zu Hannahs großem Erstaunen trotz ihrer Schlichtheit, bei Frauen
(und Männern, die lieber nicht so genau hinschauten), als authentisch
galt und wirklich zu leben versprach, mit allem, was dazu gehörte.
Dieses ›Sich-ziehen-lassen‹ von jener nebulösen Sehnsucht, die im Laufe
eines Frauenlebens in der Lage war, die unterschiedlichsten und
verwegensten Formen anzunehmen. Allerdings auch die fatalsten, und das
war leider die Norm. Ein Frauenleben... ha, ein Frauenkleid, ein
Frauenschuh... Welch groteske Vorstellung! Leben war Leben. So zu
denken der geistige Tod.