Renate Solbach: Camera inversa | Klytämnestras Gefangene 19/1
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An dieser Stelle überschlug sich alles. Die Offenheit der Deutungen stand in befremdlichem Gegensatz zur offensichtlichen Abgeschlossenheit der Geschichte. Es ging nur noch darum, die Agamemnonepisode für Hannah umzuschreiben. Eine Aussicht, die ein Gefühl von Schalheit hervorrief und die Implosion auslöste (Oder war es eine Explosion? Das hängt davon ab, wie man die Sache ansieht.) In Hannahs Kopf verknäuelten sich die Gedanken. Die Mythen stürzten ineinander, scheinbar ununterscheidbar. An welchem der Fäden sollte sie zupfen? Der Hermeneut war ins Spiel getreten und brachte den Stein ins Rollen. Wieso den Stein? Den Text. Der Text entrollte sich und zeigte sein anderes Gesicht. War das nun das richtige? Gab es ein richtiges Gesicht?

Das Blatt hat zwei Seiten. Eine
beschriftest du. Die andere
bleibt leer oder wird beschriftet, allein
du merkst den Unterschied später, auch
entfällt er dir wie die Tropfen,
die dem Grunde entrannen.
   © Acta litterarum 2009