Renate Solbach: Camera inversa
| Klytämnestras Gefangene 21/1
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Hannah
fuhr über die Autobahn gen Süden. (Um genau zu sein und die
Fassungskraft des Lesers nicht über Gebühr zu strapazieren, sei an
dieser Stelle erwähnt, dass es sich um die Hinfahrt der Rückfahrt in
Kapitel 12 handelt.) Um ganz genau zu sein, dies eine Mal, sei gesagt,
dass Hannah sich bereits im Süden befand. Sie hatte ihre Reise
unterbrochen, Andreas, den sie auf der Rückfahrt noch einmal zu treffen
beabsichtigte ehe er zu seiner Reise aufbrach, in G. am Bahnhof
abgeliefert und die Unterbrechung – aus Gründen, die zusammengesetzte
waren, eine Gemengelage aus Wissen, Emotion und Ahnung – weidlich
ausgedehnt. Hannah befand sich auf der Fahrt zu einem gemeinsamen
Freund, mit dem sie einige für die Arbeit wichtige Dinge zu besprechen
hatte.
Die Dämmerung ging allmählich in Dunkelheit über. Die
Straßen waren nass und mäßig befahren. Hannah konzentrierte sich erst
einmal auf den Verkehr, ließ sich vom Spiel der Scheinwerfer einfangen
und verlor sich in weitschweifigen Gedanken. Sie genoss Fahrten in der
Dunkelheit, fühlte sich aber gleichzeitig immer ein wenig hilflos. So
zog sie die Brille an, die für solche Gelegenheiten im Auto bereit lag.
Wer war der gemeinsame Freund, zu dem sie fuhr? Die Frage hatte sie
sich schon häufiger gestellt. Ein alternder Schriftsteller mit
hermeneutischen Neigungen? Ein einziges Mal erst hatten sie sich
persönlich gesehen, unterhielten aber einen regen Briefwechsel. Hannah
schickte ihm Texte und Gedichte und erhielt von Zeit zu Zeit eine
Gegengabe. Und dann und wann ein kleiner weißer Elefant.